San Vicente de la Sonsierra. Ein kleiner Ort am Ebro, an der Grenze zwischen Rioja Alta und Rioja Alavesa, umgeben von Reben, Geschichte – und Aufbruch. Hier treffen sich Tradition und Zukunft.
Und mittendrin: José Gil, ein Winzer, der Rioja nicht nur macht, sondern neu denkt.



Ein Dienstag in der Rioja – und ein Wiedersehen mit einem Freund
Es ist Dienstag. Immer wieder begleitet mich Regen als in Richtung Rioja fahre. Ich komme aus Burgos, auch kein perfektes Wetter. Der Tag allerdings verspricht gut zu werden. Am Ebro, an der Grenze zwischen Rioja Alta und Rioja Alavesa liegt San Vicente de la Sonsierra. Dorthin bin ich heute wieder unterwegs, zum wievielten Mal weiss ich nicht mehr genau. Ich besuche einen Winzer, einen Weinmacher. Und obgleich José Gil noch recht jung ist, sind wir einerseits schon einige Jahre befreundet und andererseits ist er in der Branche und in der Region ein wohlbekanntes Gesicht.
Terroir statt Typizität – José Gil denkt ans Burgund
Vinedos de San Vicente de la Sonsierra – das klingt zunächst einmal wie eine Genossenschaft. Das trifft es allerdings nicht im Geringsten. Denn José benennt seine Weine mit eben dieser Überschrift. Sein Einstieg sind Ortsweine, seine Passion die Lagenweine und seine Kunst das Terroir. Allein an diesem Satz sollte man merken, dass das nicht nach Rioja klingt. José Gil baut nach Terroir aus. Burgundische Linie. Für die Rioja generische Weine und kein einziger Reserva o.ä. dabei. Aber qualitativ toppt das sehr Vieles aus der Rioja. Seine Weine sind anspruchsvoll, elegant, balanciert und erzählen vom Terroir, von der Geschichte dieser jahrhundertealten Weinberge, von kühlen Nächten und heißen Tagen, von Wind und Sonne und Regen. Sie erzählen das aber nicht nur, sie melodieren es, sie flüstern es. Doch dazu komme ich später noch einmal.

Vom Plaza Mayor in die Weinberge – Unterwegs mit José
Wir treffen uns – wie immer – am Plaza Mayor. Hier saß ich schon oft, auch mit José. Ein bis fünf Gläschen in Ehren… Doch heute geht es sofort weiter in die Weinberge. José zeigt mir seine neuen Anlagen, direkt neben der Anlage, die ich vor einigen Jahren mit ihm begutachtet habe. Einzelpfahlerziehung seit letztem Jahr. Das habe ich dieser Tage schon einmal gesehen bei Felix Callejo in der Ribera. José ist genauso: Vorne mit dabei. Er denkt vorweg, er plant und treibt nach vorne. Er und Vicky, seine Frau, sowie ein Mitarbeiter. Alle machen alles, vieles wird gemeinsam besprochen, die finale Entscheidung fällt José. Und so kommt er zwischenzeitlich auf rund 35.000 Flaschen pro Jahr. Ich bin froh und stolz, dass wir nicht nur von Anfang dabei waren und seinen Aufstieg mitprägen und – begleiten durften. Nein, ich bin auch froh und stolz wieder hier zu stehen mit José. Eine wunderbare Geschichte, mitten aus dem Leben. Aber das könnte einen ganzen anderen Artikel füllen.
Der Keller im Castillo Fortaleza – wo Geschichte auf Zukunft trifft
Wir setzen die Reise fort in seinen Keller. Tief im Bauch des Castillo Fortaleza, dem kleinen Wahrzeichen von San Vicente, hoch oben über den Dächern der Stadt, vor allem aber der Rioja. Von hier aus überblickt man alles. Und verschwindet man im Bauch des Castillo, dann können Schätze aus Trauben geborgen werden. Hier lagern nicht nur José´s Weine – auch andere namhafte Weingüter hängen ihre Schilder entlang des Rundwegs.
Es ist nicht mein ersten Mal hier oben, hier unten. Wir hatten schon einige Male und einige Stunden in diesem Keller verbracht. Damals, als alles begann und mir José von seinen Plänen erzählte, das elterliche Weingut zu verlassen – und exakt ein Fass hier im Keller stand. Wir aßen, wir tranken und waren schlicht Freunde geworden zu dieser Zeit. Heute sind wir das immer noch – doch die Anzahl der Fässer hat sich vervielfacht. Ganz von ungefähr kommt dieser Erfolg nicht, denn die neuen Wege, die José geht, sind der Weinwelt und internationalen Öno-Presse nicht verborgen geblieben. Zu Recht.

Fassproben & Favoriten: Jahrgang 2023 verspricht Großes
Wir verkosten uns durch sein Terroir, alles Fassproben und beginnen mit seinem Viura. Der Jahrgang ´23 ist außergewöhnlich gut. Spannung pur, Salzige Exotik, mittlerer Körper aber voll da, wenn man ihn braucht. Ein Essensbegleiter par excellance, dazu kommen sicher noch einige Jahre der Reifezeit. Allein die Fassprobe schlägt schon Kerben. Seine Orts-und Lagenweine sowieso. Gebrauchtes Barriques, französische Eiche. Nur ein 300L-Fass – als Experimentierbecken.
Die aktuellen Jahrgänge kenne ich ja, wir haben sie ja auch selbst auf Lager. Aber wie José selbst sagt hält der noch im Keller lagernden ´23er bislang für sein bestes Werk. Und ich kann ihm da nur zustimmen – da kommt etwas Gewaltiges in die Flasche. Ab September soll gefüllt werden, dann erhalten die Weine noch etwas Ruhezeit in der Flasche und im Frühjahr werden sie veräußert. Und ja, auch wir bekommen – glücklicherweise – wieder unseren Anteil. Auch das erfüllt mich mit Stolz.
Rioja neu gedacht – und international angekommen
Was zeichnet Josés Weine denn nun eigentlich aus? Terroir. Tempranillo auf Terroir-Basis. Die Reifezeit bestimmt der Weinmacher, nicht das Landesgesetz. Er geht auf die Umwelt ein, arbeitet mit ihr. Vollkommen biologisch und zu 99% in Handarbeit. Hier ist Rioja pur, neu gedacht, international anerkannt, dem Romanischen Weinrecht angelehnt. José denkt Rioja neu, und die Rioja und der Rest Spaniens schauen nicht nur zu, sie beginnen gedanklich zu folgen. José denkt vor, ist ein Pionier auf seinem Gebiet. Mit fantastischen Weinen.
Mehr als Wein: Freundschaft in Flaschen
Was aber viel wichtiger ist: Ein toller Mensch steht vor mir, ein Freund, den ich zum Abschied nochmals umarme und ihm und seiner Frau und seiner Tochter alles Liebe wünsche. Wir sehen uns wieder, sehr bald. Da bin ich sicher. Es ist ein Wiedersehen mit Freunden – und solange erinnere ich mich gern an ihn, wenn ich einen seiner fantastischen Weine öffne.
Du möchtest José Gils Weine probieren? Dann schau mal hier rein 😉
